Praxisinterview Dr. David Steffen – Saarlouis: Berufspolitisches Engagement – Entwicklungen aktiv mitgestalten

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Welche Vor- und Nachteile haben die verschiedenen Möglichkeiten der Praxisgestaltung? Wie funktioniert Ihr Modell der Praxisinhaberschaft mit angestellten Ärzten?

Die Führung einer Praxis mit Angestellten habe ich mir nicht ausgesucht, sie ist traditionell entstanden durch die Übernahme der Praxis meines Vaters. Es war eine große Überlegung für mich, die Praxis als „One-Man-Show“ zu betreiben, in der man sowohl wirtschaftlich als auch personell für alles verantwortlich ist. Vor 10 Jahren hatte ich das Gefühl, diese Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen zu wollen. Das hat sich aber nicht ergeben, so dass ich dieses Anstellungsprinzip weitergeführt habe. Damit habe ich mit meinen Patienten mittlerweile ein Praxisvolumen, was ich so als Einzelpraxis mit Anstellungen nie geplant hätte.

Die Struktur ist gewachsen. Das bedeutet für mich allerdings auch, dass ich einen gewissen Mut haben muss. Meine Kollegen und ich verfolgen zwar das gleiche gemeinsame Ziel, was die Patientenversorgung betrifft, aber das wirtschaftliche Risiko übernehme ich allein. In den letzten 10 Jahren wurde dieser Mut belohnt, man konnte eine kontinuierliche Entwicklung beobachten – gerade auch im psychotherapeutischen Bereich. Ein größeres Patientenvolumen verursacht aber automatisch einen größeren Druck, auch Termindruck.

Die Arbeit mit Kollegen in einer Praxis als Inhaber bringt auf der anderen Seite große Vorteile: Ich bin sehr zufrieden damit, meine Art und Weise, wie ich arbeite, umsetzen zu können. Ich arbeite gerne mit Kollegen zusammen und würde nicht gerne allein arbeiten. Durch die gegenseitige Praxisvertretung bin ich flexibel in der Urlaubsgestaltung und habe so auch die Möglichkeit, mir Freiräume für mein berufspolitisches Engagement zu schaffen.

Dr. David Steffen - Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie - in Saarlouis (Foto: Dr. David Steffen)
Dr. David Steffen – Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie – in Saarlouis (Foto: Dr. David Steffen)

Wie sieht dieses berufspolitische Engagement aus und was versprechen Sie sich davon?

Ich wurde in die Vertreterversammlung der KV Saarland ab 2023 gewählt und bin zusätzlich psychiatrischer Landessprecher und Vorstandsmitglied im Berufsverband (BVDP/BDN/BVDN). Darüber hinaus engagiere ich mich im Ländertrio der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V.) und bin Mitglied im Expertenrat Psychiatrie des Landes. Berufspolitisches Engagement bedeutet für mich, die Fachgruppe „nach vorne zu bringen“ und Entwicklungen aktiv mitzugestalten. Es ist ein notwendiger Invest, der mir auch noch Spaß macht.

Welche Herausforderungen sehen Sie beim Thema Nachwuchsförderung – gerade in Ihrer Fachgruppe?

Der Konkurrenzdruck durch die Kliniken ist hoch. Viele Kollegen, die sich für die Niederlassung interessieren, möchten kein wirtschaftliches Risiko eingehen und stellen sich geregeltere und reduzierte Arbeitszeiten vor. Eine 40-Stunden-Woche mit dem gleichen Verdienst, den man als Oberarzt mit Diensten in der Klinik hätte, ist in der Anstellung aber nicht zu realisieren. Zusätzlich herrscht durch die politischen Entwicklungen zurzeit ein gewisses Spannungsfeld und Ungewissheit, ob die Honorarentwicklung der letzten Jahre durch die Gesetzgebung nicht zurückgenommen wird. Das erschwert es natürlich gleichzeitig, junge Kolleginnen und Kollegen für die Niederlassung zu begeistern.

Der zweite große Punkt ist das veränderte Geschlechterverhältnis. Frauen sind richtig gute Ärztinnen, richtig gute Psychiaterinnen. Ihre Lebensrealitäten insbesondere nach Familiengründung sehen aber oft anders aus als bei Männern. Darauf muss noch mehr mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, Teilzeittätigkeit und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie reagiert werden. Das klassische Modell, bei dem ein Arzt mit einem Niederlassungssitz 50 bis 60 Stunden pro Woche arbeitet, ist längst überholt. Wenn der Anteil der Frauen steigt, werden Modelle zur Anstellung umso wichtiger. Gleichzeitig muss es aber weiterhin Praxisinhaber geben, die die wirtschaftliche Verantwortung übernehmen. Auf Bundesebene sind Großpraxen und Versorgungszentren im Kommen. Der Psychiater, der alleine einen Patientenstamm bearbeitet, wird zunehmend ein Auslaufmodell, ist im Moment aber noch der Standard im Saarland. Da muss eine Veränderung her. Wie wir das personalisieren und wie wir die Versorgungsstruktur in den nächsten Jahren aufbauen, wird sich zeigen müssen. Aus meiner Sicht ist es keine Lösung, die Entscheidungsgewalt solcher MVZ zunehmend in die Hand von Firmen oder Klinikbetreibern zu geben, wie das andernorts bereits der Fall ist.

Wie kann man der geschilderten Hemmnisse Kolleg:innen für die Niederlassung begeistern? Welche Möglichkeiten oder Chancen bieten sich in diesem Bereich?

Motivationsarbeit ist vielleicht das Zauberwort! Es geht um eine realistische Darstellung der niedergelassenen Tätigkeit mit ihren Vor- und Nachteilen und um eine Klärung falscher Vorstellungen, die häufig bei Budget- und Regressfragen bestehen. Die Arbeit als Selbstständiger muss deutliche gemacht werden und Grundkenntnisse in der wirtschaftlichen Führung einer Praxis vermittelt werden. Gerade hier ist der Berufsverband wichtig, da er Informationen bündelt und Wissensvermittlung anbieten kann. Häufig können in dieser Findungsphase die meisten Bedenken ausgeräumt oder relativiert werden. Gerade unter der aktuellen öffentlichen Diskussion die Neupatientenregelung zurückzunehmen und andere Einsparmaßnahmen zu Lasten der Niedergelassenen in den Raum zu stellen, wird diese Motivationsarbeit erschwert und ich befürchte, dass die Attraktivität der Niederlassung leidet. Dadurch ist die Versorgung langfristig durch mögliche Nichtnachbesetzungen gefährdet. Wir gehen davon aus, dass die Hälfte der Psychiater, Nervenärzte und Neurologen im Saarland in den nächsten fünf Jahren das Rentenalter erreichen wird und die Nachbesetzung ansteht. Unter den aktuellen Vorzeichen ist die Aufrechterhaltung der Versorgung nach dem Stand heute ungewiss.

Daher motiviere ich auch die Kolleginnen und Kollegen, die den Weg in die Niederlassung gefunden haben, durchzuhalten. Aus meiner Erfahrung kann ich den Kolleginnen und Kollegen sagen: „Es lohnt sich!“. Es gibt schwierige Phasen, das ist die Realität, die manchmal die Freude am Arbeiten trübt. Die Arbeit an sich macht richtig Spaß, man hat viele Gestaltungsmöglichkeiten.

Gerade in den beiden Welten der psychiatrischen und der psychotherapeutischen Versorgung zu leben, bedeutet eine unglaubliche Vielfalt. Man hat kurze Termine, die vor allem der Stabilisierung von Patienten dienen, betreut Psychosepatienten, Patienten mit bipolaren Störungen oder Ähnlichem oft über Jahre. Ich biete in meiner Praxis Gruppentherapie und Einzeltherapien, ich engagiere mich in der Suchtbehandlung. Diese Mischung macht meine Arbeit so abwechslungsreich und auch so freudig. Wenn es mal einen Bereich gibt, in dem man wenig Freude hat, gleichen andere Teile das aus. Das war immer auch mein Plädoyer, die Kollegen zu motivieren für diese Art der Arbeit. Natürlich muss es unter dem Strich auskömmlich sein.

Was ist das Besondere an Ihrer Arbeit im Bereich Psychiatrie und Psychotherapie?

Das muss ich zweiteilen in den psychiatrischen und psychotherapeutischen Teil, die grundsätzlich unterschiedlich sind. Als ärztlicher Psychotherapeut in einer Klinik zu arbeiten, heißt, man ist entweder Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder Psychosomatische Medizin, zum Beispiel in einer psychosomatischen Rehaklinik. Die Hauptarbeit ist eine ärztliche, die Verweildauern der Patienten sind begrenzt, es geht um klare kurze Zielsetzungen, häufig mit widerstreitenden Interessen von Rentenversicherung, Rehabilitand und Arzt.

In der ambulanten Behandlung hat man ganz andere Möglichkeiten. Die Therapien sind häufig längerfristig oder langfristig, man kann Behandlungsverläufe beobachten, es ist mehr klassische Psychotherapie.

In der Psychiatrie ist es anders. Wer als Psychiater zum Beispiel in einer Klinik arbeitet, tut dies entweder in einer Akutklinik (das bedeutet Notfallaufnahmen, Psychosen, Akutstation, Wochenenddienste, Bereitschaftsdienste etc.), wo er oder sie nach Exploration Entscheidungen treffen muss und gleichzeitig in das Gefüge einer Klinik eingebunden ist. Die Arbeit ist sehr vorbestimmt und auch da gibt es einen hohen Zeitdruck.

Hier unterscheidet sich das ambulante Arbeiten doch deutlich. Psychiatrisch arbeiten ist wesentlich mehr als die Behandlung der akuten Krankheitsphase mit stationärem Behandlungsbedarf. Es geht neben den akuten Krankheitsbilder um langfristige Verläufe, Stabilisierung, die Entwicklung von Patienten teilweise über Zeiträume von 10 Jahren und die Teilhabe rückt stärker in den Behandlungsfokus. Das kann man nicht mit einer Akutbehandlung vergleichen, bei der der Patient 2 – 3 Wochen in der Klinik bleibt. Dadurch erlebt man im ambulanten Bereich hier eine Dankbarkeit der Patienten, die sehr befriedigend ist.

Wie kann das oben erwähnte berufspolitische Engagement beim Thema Nachwuchsförderung helfen?

Wir versuchen berufspolitisch ganz intensiv die Kollegen zu motivieren und zu begeistern, Weiterbildungsermächtigungen zu beantragen und sich aktiv in der Weiterbildung zu engagieren. Den Erfolg sieht man auch daran, dass die Förderungsstellen in unserem Bereich jetzt im zweiten oder dritten Jahr voll ausgeschöpft sind und sogar die Maximalförderungsstellen übersteigen. Ich glaube, dass das ganz wichtig ist, die Kollegen erstmal davon zu begeistern, mit den Kollegen in der Klinik in Kontakt zu bleiben, Angebote zu machen, Informationsveranstaltungen und Fortbildungsveranstaltungen anzubieten, auf sie zuzugehen. Das tun wir auf berufspolitischer Ebene im Berufsverband. Es entsteht durch die neue Weiterbildungsordnung eine erhöhte Dynamik und eine Aufwertung der ambulanten Weiterbildung. Kollegen können dann zwei Jahre im ambulanten Bereich arbeiten. Im Saarland ist die Weiterbildungsordnung dahingehend entschärft worden, dass es keine Pflicht zur zweijährigen ambulanten Weiterbildung in Tageskliniken, Institutsambulanzen oder im niedergelassenen Bereich gibt. Dort müssten aber auch erstmal Stellen vorhanden sein, was möglicherweise in Zukunft nicht mehr in jeder Klinik gegeben sein würde. Für den niedergelassenen Bereich ist es jedoch eine Chance, früher in der Weiterbildung an die Kolleginnen und Kollegen ranzukommen. Deshalb müssen wir unsere Weiterbildungsangebote bekannt machen. Also zusammenfassend: Junge Kolleginnen und Kollegen so früh wie möglich für die ambulante Versorgung zu begeistern, ist das A und O. Natürlich können wir in den Praxen nicht den Sicherstellungsauftrag der KV übernehmen, aber wir können versuchen, Angebote zu schaffen, Attraktivität zu steigern und vom Beruf zu überzeugen.

Ich begrüße die finanzielle Weiterbildungsförderung sehr. Sie sollte noch weiter ausgebaut werden, denn es muss ja auch für den Praxisinhaber auskömmlich sein. Eine Weiterbildungsassistentin/ein Weiterbildungsassistent ersetzt meine Arbeit nicht, es bedeutet für mich Mehrarbeit, weil ich alles supervidieren muss. Mit dieser Förderung werden diese Kosten nicht vollständig gedeckt. Aber es ermöglicht mir dennoch, der Weiterbildungsassistentin/dem Weiterbildungsassistenten die nötige Zeit zu geben, die Ausbildung ohne Zeitdruck zu absolvieren und mit der notwendigen Sorgfalt. In der Klinik ist der Zeitdruck sehr viel größer. Ambulant habe ich zum Beispiel die Möglichkeit, Patienten mit meiner Weiterbildungsassistentin nachzuexplorieren oder Gruppen gemeinsam zu übernehmen.

Diese Chance habe ich eben über diese Förderung und das ist ein ganz großer Gewinn und das erlebe ich auch von denen, die die Weiterbildung in Anspruch nehmen als eine der größten Unterschiede zur Klinikweiterbildung.

Welchen Tipp haben Sie für junge Kolleginnen in Aus- und Weiterbildung?

Gerade wenn man sich für eine Selbstständigkeit interessiert, braucht man Mut und die Bereitschaft unternehmerisch tätig zu werden. Erfahrene niedergelassene Kolleginnen und Kollegen können hier unterstützen und bewährte Wege aufzeigen. Die Selbstständigkeit ist keine Beschränkung der ärztlichen Tätigkeit und zerstört die Freue daran – sie kann die Arbeit langfristig bereichern.

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